Das Peugeot-Drama von Berikon
Autor: Paul Gut, langjähriger Peugeot-Garagist in Berikon, gemeinsam mit seiner Gattin Rösli von 1988 bis 2019 Partner-Mitglieder von Amicale Peugeot Veteranen Club SuisseHauptdarsteller: Ein Peugeot 403 Cabrio und ein Peugeot 204 Cabrio
Orte der Handlungen: Berikon, Oberniesenberg, Ostdeutschland, Finnland
Die Geschichte beginnt im Jahr 1982, als ich ein Peugeot 403 Cabrio erwarb. Mit der Absicht, die Rostlaube in etwa zwei oder drei Jahren zu restaurieren, liess ich den Wagen in einer Scheune in Oberniesenberg neben anderen schützenswerten Oldtimern stehen. Ein paar Jahre später gesellte sich dann das 204 Cabrio dazu, das in einer Scheune in Berikon seinen verdienten Ruheplatz fand.
Viele Jahre zogen ins Land, ohne dass ich die Zeit für die Restaurierung gefunden hatte. So alle zwei oder drei Jahre besuchte ich die beiden Cabrios. Der Staub häufte sich immer mehr auf den beiden Wagen an, so dass man die Farbe bald erraten musste. 1996 verliess mich dann die Motivation gänzlich, so dass ich das Verdeck des 204 nach Basel verkaufte, da ich einsehen musste, dass das Auto nur noch als Teilelieferant zu gebrauchen war. 1997 startete ich ein Inserat im Peugeot-Veteranen-Bulletin, der Erfolg war gleich Null. Doch nach zwei oder drei Monaten meldete sich eine fremdländische Stimme am Telefon und erkundigte sich nach dem 403 Cabrio. Der Mann sprach etwas Deutsch und gab mir zu verstehen, dass er in Helsinki (Finnland) wohne und das Auto gern besichtigen möchte. Wir vereinbarten einen Termin zur Besichtigung, doch durch verschiedene Telefonate und Fax-Nachrichten wurde dieser immer wieder verschoben.
Doch im Herbst war es dann soweit. An einem Sonntagnachmittag stand Herr Jukka (sein Vorname) aus Finnland mit einem Peugeot 306 XT Diesel vor dem Haus. Im Oberniesenberg begutachtete er dann den Staubhaufen mit Kennerblick. Seine Kenntnisse über alte Peugeots waren hervorragend. Wieder nach Berikon zurückgekehrt zeigte ich ihm noch den 204 C ohne Dach. Wir unterhielten uns über den Preis, und als ich den Vorschlag machte, ihm den 204 gratis zu überlassen, war der Handel per Handschlag perfekt. Ein Raclette, von Rösli zubereitet, schmeckte ihm sehr gut und bildete den Abschluss seines Kurzaufenthalts in der Schweiz. Bevor Herr Jukka wieder Richtung Norden fuhr, unterhielten wir uns über den Transport der beiden Autos. „Für Dich keine Problemi; ich komme mit Freund und Transporter aus Estonia (Estland) und alles O.K. Termin, ich glauben ca. Ende Februar 1998“. Mit einem freundlichen Schulterklopfen verabschiedeten wir uns.
Nun begann eine langwierige Terminverschiebung. Bereits Anfang 1998, Telefon aus Helsinki, „Hallo Herr Paul, hier spricht Jukka, Termin Februar nichts gut, Verschiebung auf März“. Diverse Telefonate und Faxe durchquerten Kabel und Äther. Der Abholtermin wurde Wochen um Wochen verschoben, bald bis zum geht nicht mehr. Dann die Erlösung, im August sei alles perfekt. Doch diese Terminansagen scheute ich bald wie der Teufel das Weihwasser. Und wie recht ich haben sollte. Im August ein Telefon: „Hier spricht Jukka, habe schlechtes Nachricht“. Warum ? „Autotransporter darf nicht durch Deutschland fahren, weil sehr altes Jahrgang“. Ja und jetzt ? „Ich organisieren anderes Transporter und gebe wieder Bescheid, keine Problemi, keine Problemi“. Diese beiden Worte konnte ich schon bald nicht mehr hören. Bin ich denn der einzige Mensch auf Erden, der mit dem Verkauf von zwei alten Peugeots Probleme hat ? Die Schieberei des Transportes nahm ihren nervenaufreibenden Fortgang. Inzwischen ein Lichtblick; die Überweisung der Zahlung hatte stattgefunden. Anfang September dann ein weiterer Anruf aus Helsinki „Hier spricht Jukka, alles perfekt. Ich nicht kommen in Schweiz, da keine Ferien mehr, aber zwei Freunde, einer aus Finnland und einer aus Estonia (Estland) kommen mit Transporter und Anhänger. Du vielleicht etwas helfen ?“ „Ja aber kommt endlich !“ Zwei Tage später, Jukka am Telefon, alles o.k., keine Problemi, Transporter gestartet“. Alle waren glücklich, doch mein Adrenalinspiegel wollte um des Teufels willen nicht sinken.
Zwei Tage später: „Hier spricht Jukka – schlechte Nachricht, Transporter steht still, Wasserverlust !! Aber keine Problemi, Aivar (der Fahrer aus Estonia) und Kari (der Mechaniker aus Helsinki) werden reparieren“. Etwa zwei Tage später wieder Jukka: „Transporter läuft, alles o.k., keine Problemi, ich werde wieder orientieren“. Die nächste Orientierung kam schon bald: „Transporter steht in Süddeutschland, Wasserproblem“. Nach der ausschweifenden Umschreibung musste ich annehmen, dass es sich um mindestens zwei Wasserschläuche handelte, die das Zeitliche gesegnet hatte. „Kari wird schon reparieren, ich werde wieder Bescheid geben“.
Tage später, Telefon Jukka: „Transporter hat Schweizer Grenze überschritten, bald eintreffen bei dir“. Halleluja, wollte ich in den Hörer rufen, aber es blieb mir im Hals stecken. Zwei Stunden später, Jukka: „Der Transporter steht vor deinem Haus“. Ist denn das die Möglichkeit ? In der Tat; da standen zwei Jungs mit einem Grinsen im Gesicht am Strassenrand, daneben ein steinaltes Pritschenfahrzeug. Ich traute meinen Augen nicht. Mit dieser Rübe hätte ich mich nicht einmal auf die Fahrt nach dem nächsten Schrottplatz gewagt. Ein hochbeiniger alter Iveco mit einem noch älteren Anhänger daran erregte die Gemüter der bei uns Vorbeifahrenden. Auf der Brücke vermisste ich eine Seilwinde oder einen Ladekran. Und das Ganze in einem Blau gestrichen, das der Farbe der Züri-Trams sehr ähnlich sah. Mit komischem Gefühl im Bauch und schlechter Vorahnung begrüsste ich die mutigen Transporteure. Kari war der umgänglichere und er hatte einige Deutschkenntnisse. Der Mechaniker Aiwar, gross und dick, mit gestricktem Käppi auf dem Kopf :“Ich nicht sprechen Deutsch“. Laut Kari spielte er in einer Musikgruppe.
Und jetzt: „Wo Peugeots ?“, wollte Kari wissen. Ich gab ihm zu verstehen, dass wir zuerst einige Kilometer fahren müssen und dann noch bergauf. Ich fuhr mit unserem Auto voraus, beladen mit diversen Werkzeugen, Hanfseilen und Hebeisen. Auch ein Wagenheber fand noch Platz. Die Anfahrt dauerte eine Ewigkeit. Zwei Mal musste Kari seiner durstigen Rübe Wasser nachfüllen. Am Ziel angekommen erblickte ich auf der Ladebrücke vier Peugeot–Räder. Diese Tatsache entpuppte sich als Glücksfall, denn der Staubhaufen stand plattfüssig auf den Felgen.
Nun, wie aufladen ? Das umliegende Gelände kam uns ein wenig entgegen. Die Scheune steht überhöht neben einem Feldweg. Zwei Bretter haben wir auch noch gefunden. Aber das begehrte Objekt bewegte sich keinen Millimeter vom Fleck. Also die mitgebrachten Räder wechseln, Bremstrommeln gangbar machen und so weiter. Dann mit vereinten Kräften den Dreckhaufen aus der Scheune stossen. Jetzt begann der Akrobatiktanz über die Bretter. Dass der 403 zweimal beinahe von den Brettern gefallen ist, erwähne ich nur nebenbei. Ich habe schon viele Autos aufgeladen und abgeschleppt, aber diese Aktion sprengte die kühnste Vorstellung. Kari entpuppte sich als guter Improvisateur, aber Aiwar glänzte nur mit seiner Anwesenheit. Nach diversen nervenaufreibenden Stunden gelangten wir wieder nach Berikon. Dort erwartete uns noch das Aufladen des 204 auf den Anhänger. Diese Aktion gelang ohne besondere Vorkommnisse. Wer nun glaubt, das wars dann, den muss ich enttäuschen. Kari: „Paul, wo Du Zimmer ?“ „Hä – ich keine Zimmer !“. „Aber Du Hotel bestellen“.- Auch das noch; ich bestellte ein Zimmer für eine Nacht und überführte die Beiden ins Hotel. Am anderen Morgen tauchten sie per Autostop wieder vor der Garage auf. „Heute nicht fahren, Transporter reparieren“. Was heisst denn das wieder ? Kari öffnete die Motorhaube und fing an, am Zylinderkopf zu werkeln. Alle paar Augenblicke stand er bei uns in der Garage und bat um diverse Werkzeuge. Dann sollte ich noch bei der nahen Iveco –Vertretung Ersatzteile besorgen. Dass ich nicht ausgelacht wurde, verdanke ich dem dortigen Vertreter, mit dem ich per Du bin. Aber Material hat es keines. Es wurde Abend, und Kari gestand mir: „Wir kein Geld mehr, wir schlafen im Transporter“. Super, jetzt wird‘s heiss. Als ich am anderen Morgen unsere Garage öffnete, hockte Aiwar im Transporter vor dem Steuerrad und schlief. Kari knurrte unter einer Blache im Anhänger. Später brachte Rösli den beiden etwas zu Essen. Im Lauf des Morgens schrillt das Telefon: Jukka „guten Tag Paul, Es gibt Problemi, die Reisepapiere von Kari und Aiwar sind abgelaufen. Du mit die zwei nach Zürich fahren zu Konsulat ?“ Du heilige Scheisse, hätte es beinahe nach Finnland getönt. Was mache ich ? Ich habe auch Aufträge für die Kundschaft zu erledigen. Aber wir müssen die beiden Clochards loswerden. „Jukka, ich mache das“ „Oh danke Paul, keine Problemi !“ Mit einem heiligen Zorn fuhr ich die beiden nach Zürich und nach langem Suchen fanden wir das Konsulat. Sehr viele Leute bildeten eine lange Schlange. Sie musterten uns sehr skeptisch, als ob wir direkt aus einer Räuberhöhle an der Langstrasse hinausgeschmissen worden wären. Wir warteten und warteten. Dann passiert etwas, das meistens nur in einem schlechten Roman vorkommt. Noch zwei Personen vor uns, und wir hätten es geschafft. Da schloss sich der Schalter !! Feierabend, morgen wieder ! Das war der Hammer. Ich wartete auf den ersten Herzinfarkt. Zum Glück blieb er aus. Also nach Hause fahren und Jukka anrufen. Antwort: „Ist schlechte Nachricht, aber rufe später an, keine Problemi“. Später am Telefon Jukka: „Hallo Herr Paul, Kari und Aiwar mit Flugzeug zurückschicken, du geben 1000 Franken für Kosten, ich dir sofort zurücküberweisen, keine problemi.“ Jetzt stand ich da wie ein Fass ohne Boden, leer !!
Bring ich die beiden Zecken nicht mehr los? Nach längerem Überlegen übergab ich den beiden die Tausend Franken, mit dem Verdacht, den Betrag als „Spende für armi Sieche“ abzubuchen. Wie die beiden nach Kloten an den Flughafen kamen, entzieht sich meiner Kenntnis, aber war mir auch scheissegal.
Zwischendurch passieren doch noch Wunder ! Nach einigen Tagen wurden aus Finnland Tausend Franken überwiesen. Währenddessen stand der uralte Transporter mit Anhänger und zwei alten dreckigen Peugeots auf unserem Gelände und erregte die Gemüter unserer Kunden.
Rund zweieinhalb Wochen später; wer stand uns gegenüber ? Kari und Aiwar, mit einem kompletten Dichtsatz und diversen Wasserschläuchen, genau anderthalb Tage bevor Rösli und ich nach Spanien fuhren. Telefon Jukka: „Kari Zylinderkopf reparieren, Du vielleicht etwas helfen ? keine Problemi !„ Wir hatten keine Probleme, da wir reisefertig waren, Problemi aber hatte Roger, der ständig um gute Ratschläge gelöchert wurde und Werkzeug ausleihen sollte. Geschlafen haben die beiden im Auto und auf dem Anhänger. Verpflegung erhielten sie oft von Roger und Bernadette sowie von unseren Nachbarn, einer sehr freundlichen und anständigen serbischen Familie. Nach etwa fünf langen Tagen haben sich die beiden für die Heimreise dankend verabschiedet.
Endlich, ein geschichtsträchtiger Oldtimerverkauf scheint vollendet zu sein.
Aber weit gefehlt – Telefon Jukka „Hallo Herr Paul, grosse Problemi ! Transporter in Ostdeutschland von grossem Lastwagen abgeschossen. Transporter, Anhänger und Peugeot 204 total kaputt, Kari in Lebensgefahr, alle Knochen gebrochen, Aiwar nicht viel „kaputt“, Peugeot 403 Cabrio auch defekt, aber wir retten !“
So endete der Oldtimerverkauf auf tragische Weise. Jahre später habe ich von Jukka erfahren, dass Kari invalid war und zum Alkoholiker wurde. Aiwar ging es gut und das Peugeot 403 Cabrio sei bald restauriert.
Hier zwei Beispielbilder von den beschriebenen Fahrzeugen